Zimmermanns Revier 54 – Auslandseinsatz

Auslandseinsatz

Kommissar Zimmermann a.D. packte seine Tasche, reihte sich hinter den anderen Fluggästen ein und stieg aus dem Flugzeug. War er vor eineinhalb Stunde in Dortmund noch bei strahlendem Sonnenschein gestartet, empfing ihn nun strömender Regen. Während sich die Menschen um ihn herum über das schlechte Wetter in London beschwerten, klappte er den Kragen seines extra neu gekauften, grauen Mantels hoch und schmunzelte kurz, bevor er die Treppe herabstieg. Dieses Kleidungsstück sollte ihm etwas mehr Ansehen verleihen. Trotzdem war er bereits jetzt froh darüber, dass sich auf der Brust ein kleiner, kaum sichtbarer Kaffeefleck verewigt hatte. Dies verlieh ihm die persönliche Note, die sein Vorgänger bereits inne gehabt hatte.
Dreißig Minuten später hatte der alte Kommissar seinen Koffer in der Hand und stieg in den wartenden Streifenwagen. »Herzlich Willkommen.« Ein junger Mann in grauem Nadelstreifenanzug und strubbeliger Frisur auf den Fahrersitz begrüßte ihn in deutscher Sprache, aber mit einem kräftigen Akzent. »Ich freue mich, einen erfahrenen Kollegen aus Deutschland bei uns begrüßen zu dürfen.«
Zimmermann schüttelte den Kopf. »Ich bin bereits außer Dienst. Formal bin ich kein richtiger Kollege.«
»Das wissen wir. Dafür verfügen sie über sehr viel Erfahrung. Sie wurden uns deswegen empfohlen. Möchten sie direkt zum Büro oder vorher noch ins Hotel?«
Der Kommissar musste gar nicht nachdenken. Er schüttelte den Kopf. »Das einzige, was ich möchte, was ich jetzt brauche, ist ein Kaffee. Ein Kaffee, der so stark und schwarz ist, wie bester, britischer Humor.«
Der Fahrer grinste, nickte und fuhr los.
Erschrocken klammerte sich Zimmermann am Türgriff über sich fest. »Falsche Seite! Falsche Seite! Sie fahren auf der falschen Seite!«
Der Polizist erschrak, hätte fast das Lenkrad verrissen. Er atmete ein paar Mal tief ein und aus. »Wir sind hier in England. Wir fahren hier alle auf der linken Seite. Kennen sie das nicht aus dem Fernsehen?«
Nun war es der deutsche Kommissar, der über das ganze Gesicht grinste. »Ich dachte, ihr Briten hättet alle so einen schwarzen Humor. Da habe ich sie wohl auf dem falschen Fuß erwischt.«
Sie fuhren in die Stadt hinein und hielten vor einem kleinen, unscheinbaren Café. »Mir wurde bereits berichtet, dass sie eine Vorliebe für richtig guten Kaffee haben. Ich habe mir sagen lassen, dass es hier den besten von ganz London geben soll.«
Sie verließen den Wagen. »Sie können gern hier draußen warten und sich umsehen. London ist in jeder Ecke einen Blick wert.«
Das gefiel dem alten Kommissar. Er fühlte sich, trotz der unbekannten Stadt, bereits wie zu Hause, wo man sich immer jemand um seinen Kaffee gekümmert hatte.
Er schlenderte ein wenig die Straße entlang, als eine junge, blonde Frau an ihm vorbei gerannt kam. Völlig außer Atem blieb sie wenige Meter später stehen, sah sich um und kam auf Zimmermann zu. »Sorry, Sir. I am in very big trouble. No time for explanations. May I borrow your coat for a while as disguise?«
Sie blickte ihn flehend an. Der Kommissar zögerte keine Sekunde. Wie immer hatte er ein Gespür für die richtigen Entscheidungen im richtigen Moment. Er nickte, zog den Mantel aus und half ihr hinein. Er stand ihr sehr viel besser als ihm, obwohl die Kombination mit Hosenträgern und buntem Pullover schon etwas verrückt war. Typisch britisch eben.
»Thank you very much, sir. I will return the favor as soon as possible. We will met together somewhere in time and space.«
Zimmermann winkte ab. Die junge Frau war in Not. Es war unwichtig, ob sie sich revanchieren würde oder nicht.
Sie drehte sich um, lief weiter, bis sie eine altes, blaues Polizei-Notrufhäuschen erreichte. Sie trat ein, schloss hinter sich die Tür. Nur wenige Augenblicke verschwanden beide, als hätten sie niemals existiert.
Kommissar Zimmermann rieb sich die Augen. Das konnte niemals passiert sein. Er dachte nach. Nein, er hatte seit Wochen keinen Alkohol angefasst. Aber was spielte ihm denn jetzt einen Streich? Es lag vermutlich an einem dramatisch gesunkenen Koffeinspiegel.
In diesem Moment öffnete sich die Tür des Cafés. Der englische Kollege kam heraus. In der einen Hand hielt er einen großen, wohlig duftenden Kaffee, in der anderen einen alten, grauen Mantel, dem man deutlich ansehen konnte, dass er vieles mitgemacht und durchgestanden hatte.
»Hier ist ihr Kaffee.« Noch vor dem Becher drückte er Zimmermann den Mantel in die Hand. »Er hat in den letzten Jahren ziemlich gelitten. An einer Stelle ist ein Brandloch. Ich kann ihnen aber versichern, dass er sehr gute Dienste geleistet hat.«
Der Kommissar nahm den Mantel. Aus einem Gefühl heraus, dass er später nicht hatte begründen können, besah er ihn sich. Auf der Brust entdeckte er ein kleines, unscheinbares Detail, einen Kaffeefleck.
Der junge Kollege lächelte verlegen. »Denken sie nicht weiter darüber nach. Zwischen Raum und Zeit passieren gelegentlich Dinge, die sich nicht so einfach erklären lassen.«
Zimmermann nickte und zog den Mantel über. »Ganz ehrlich, so gefällt er mir sehr viel besser. Jetzt hat er eine Persönlichkeit.« Er sah den Polizeibeamten an, der vielleicht keiner war. »Meine Aufgabe hier ist damit erledigt?« Der andere nickte. »Dann werden sie jetzt also auch verschwinden? »Ja.«
Wie auf ein Stichwort tauchte das Notrufhäuschen wieder auf. Der Mann im Anzug betrat es, winkte zum Abschied. »Ich wünsche ihnen eine gute Heimreise, Kommissar Zimmermann. Vielleicht sehen wir uns irgendwann, in einem anderen Leben wieder. Dann könnte es sein, dass ich ihnen erzähle, was es mit diesem Mantel auf sich hat.«
Während sich das blaue Häuschen in nichts auflöste, setzte sich der Kommissar auf eine Bank. Er legte seinen Koffer neben sich, öffnete ihn für einen kurzen Moment, dann schloss er ihn mit einem breiten Grinsen im Gesicht. »The case is closed.«

(c) 2023, Marco Wittler

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